Holzbau ist gleich Elementbau

  

Stefan Zöllig ist Hauptautor des neuen NPK 335 Holzbau. Der erfahrene und innovative Holzbauingenieur spricht im Interview über die Vorteile von Holzbauten, den Schweizer Wald als Baustofffabrik und die Vorteile des neuen NPK Holzbau.    
Interview: Michael Milz | 12.12.2023

Laut Branchenverband «Holzbau Schweiz» ist Holz das Material der Stunde. Was sind die Vorteile von Holz? 
Aus Sicht des Nutzers ist der grösste Vorteil, dass es ein angenehmer Baustoff ist: Holz ist warm, trocken und sauber. Holz ist zudem ein CO2-Speicher, der erst noch Sauerstoff produziert hat. Wirtschaftlich betrachtet sind die Gebäude, die wir produzieren, zwar etwa gleich teuer wie Gebäude aus anderen Baustoffen, allerdings sind wir deutlich schneller: Wir können das Untergeschoss vor Ort – also on-site – bauen und gleichzeitig die Wand-, Decken- und Dachelemente ausserhalb der Baustelle, also off-site, vorfertigen, mit denen wir dann nur noch auf die Baustelle fahren müssen. Bei praktisch jeder Gebäudegrösse und Nutzung sind wir sechs Monate früher fertig. Das heisst für den Bauherrn, dass er auch sechs Monate früher Ertrag erzielen kann, zum Beispiel mit Mieteinnahmen. 

Was kann der Baustoff Holz (noch) nicht, was andere Baustoffe können – bzw. was kann Holz, was andere Baustoffe nicht können?
Wenn Sie vom Üetliberg die Stadt Zürich überblicken, dann würde ich behaupten, dass man alle Infrastrukturbauten, die man sieht, auch mit Holz machen kann. Was Holz nicht oder noch nicht so gut kann, sind erdberührte Bauteile. Und dort, wo es um den Brandschutz geht, muss man sehr genau wissen, was man macht. Dafür braucht es entsprechende Fachleute. Ein «normaler» Bauingenieur muss sich dafür weiterbilden oder einen Holzbauingenieur beiziehen. Dasselbe gilt für den Schallschutz: Holz ist im Gegensatz zu Materialien aus dem Massivbau ein leichtes Material, das auch leicht anregbar ist. Entsprechend sind Aspekte wie Schallübertragung, auch durch angrenzende Bauteile, zu beachten. 

 

Mittlerweile werden auch sehr grosse Bauprojekte aus Holz realisiert wie etwa das geplante rund hundert Meter hohe Hochhaus «Rocket» im Winterthurer Sulzer-Areal. Wie steht es hier um den Brandschutz? Holz brennt ja nicht weniger gut als früher … 
Wenn ich in einem unserer Gebäude im achten Stock stehe und mir vorstelle, dass es brennen würde, ist das eine emotionale Sache – ebenso, wenn ich in ein Flugzeug steige und mich frage, ob diese Aluminiumbüchse überhaupt fliegen kann. In einem Hochhaus darf es in einer Wohnung brennen, aber das Feuer darf nicht auf die nächste Wohnung übergreifen. Es darf Sachschaden geben, aber keinen Personenschaden. Als Ingenieur muss ich wissen, welche Feuerwiderstände ich erreichen muss – unabhängig davon, ob das Gebäude aus Holz oder einem anderen Material ist. Die Brandschutznormen legen diese Feuerwiderstände fest, die in der Regel 30, 60 und 90 Minuten betragen. Komplizierter ist es in Gebäuden wie Spitälern, wo die Personen nicht mobil sind, oder in Hotels, wo man davon ausgehen muss, dass die Personen nicht mit den Fluchtwegen vertraut sind. Entsprechend höher sind dort die Anforderungen. Als Holzbauingenieure sind wir zwar in Brandschutz ausgebildet, halten uns aber ständig auf dem Laufenden, weil auch die Brandschutznorm und die Vorschriften ungefähr in einem Zehnjahresrhythmus aktualisiert werden. 

 

Wie nachhaltig ist Holz als Baustoff eigentlich noch, wenn plötzlich alle nur noch mit Holz bauen?
In der Schweiz ist der Wald wie eine grosse Baustofffabrik: Jährlich wachsen zehn Millionen Kubikmeter Holz nach, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Das ist genial! Allerdings lassen wir die Hälfte davon im Wald liegen und verfaulen. Das hat zwar Vorteile für die Tier- und Pflanzenwelt – Stichwort Biodiversität –, aber es bräuchte nicht so viel. Die andere Hälfte, also rund fünf Millionen Kubikmeter, nutzen wir jedes Jahr. Zu Bauholz wird daraus aber nur beschämend wenig: In der Schweiz beträgt die jährliche Produktion etwa 270'000 Kubikmeter. Das heisst, es gehen gerade mal 2,7 Prozent des nachwachsenden Holzes aus dem Wald als tragende Bauteile in die Gebäude. Damit haben wir einen Marktanteil von zehn bis fünfzehn Prozent. Dummerweise importieren wir sehr viel Holz: Insgesamt verbauen wir rund eine Million Kubikmeter, also umgerechnet zehn Prozent des gesamten Zuwachses. Zusätzlich bauen wir mit einer sehr schlechten Materialeffizienz: Von 100 Prozent Baumstamm landen im Brettschicht- oder Brettsperrholzprodukt nur rund 30 Prozent. Aus den restlichen 70 Prozent werden Spanplatten produziert oder sie werden direkt verfeuert. Dort müssen wir ansetzen. Deshalb arbeiten wir auch am Projekt «Scrimber», einer Technologie, bei der die Holzstämme gewalzt und wieder verklebt werden und so die Ausbeute deutlich erhöht wird. Auch bei weltweiter Betrachtung müssten die Reserven eigentlich ausreichen. Aber es gibt natürlich Länder wie China, die einen sehr grossen Bedarf, jedoch kaum Wälder haben. Generell finde ich, dass beides – Ausbeute erhöhen und mehr mit Holz bauen – Sinn macht.

 

Und wie sieht es mit der Konkurrenz der Rohstoffe aus?
Heute können wir noch überall Rohstoffe fördern und verbrauchen, ohne dass viel passiert. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit wird Holz sehr wahrscheinlich mehr unter Druck kommen. Unser grösster Konkurrent ist die thermische Nutzung: Niemand möchte mehr mit Erdöl heizen, also gibt es einen Umstieg auf Holzheizungen. Mittlerweile werden nicht mehr nur Pellets aus Holzabfällen hergestellt, sondern es werden direkt im Wald Hackschnitzel gemacht, die dann verbrannt werden. Was ein Unsinn ist – Holz direkt aus dem Wald sollte nicht verbrannt werden. In der Schweiz verbrennen wir aktuell rund 5,3 Millionen Kubikmeter, wovon knapp die Hälfte direkt aus dem Wald kommt. Mit anderen Worten: Ein Viertel des Holzes, das jährlich nachwächst, verbrennen wir wieder. Deshalb glaube ich, dass wir den Ausbau der thermischen Verwertung von Holz, insbesondere in Holzenergiewerken, baldmöglichst beenden sollten. Denn nicht nur die Holzenergie, sondern auch andere Anwendungen in der Medizin, Hygiene, Textilien und die Bioökonomie werden zunehmend Bedarf haben und damit die Konkurrenz um den Rohstoff Holz verstärken. 

 

Auf Anfang 2024 kommt das komplett neue NPK-Kapitel 335 Holzbau, an dem Sie als Autor massgeblich mitgewirkt haben. Welche Vorteile bringt es?
Weil der NPK nicht nur Offert- sondern auch Vertragstext ist, muss er klar und rechtssicher sein. Der neue NPK 335 fasst die bisherigen Kapitel 331 «Tragstrukturen», 332 «Elementbau» und 333 «Bekleidungen» zusammen. Der Vorteil ist, dass mit dem neuen NPK ein gesamtes Holzgebäude, das in der Regel ohnehin von derselben Firma geliefert wird, beschrieben werden kann. So weiss die Unternehmung genau, was sie liefern muss. Weil alle Unternehmungen Zugriff auf die hinterlegten Richtpreiskataloge und Kalkulationen haben, ist man bei der Kalkulation mit dem NPK viel schneller – das meiste sind ohnehin Standardbauteile. Meine Aufgabe als Autor war es, dass auch möglichst viele Spezialanwendungen mit dem Standardtext beschrieben werden können. Zudem kann der Unternehmer bei verschiedenen Kombinationen von Aufbauten mit demselben System kalkulieren.   

 

Was waren die Gründe für die Zusammenlegung der drei Kapitel?
Das neue Kapitel bildet ein Stück weit auch die Entwicklung in der Holzbauweise ab. Als ich vor rund 30 Jahren als Holzbauingenieur angefangen habe, hat praktisch niemand Elementbau gemacht. Man hat Stäbe beim Säger gekauft, abgebunden (zugeschnitten), Löcher gebohrt und Schlitze gemacht, sie dann auf der Baustelle zusammengebaut und darauf die Bekleidungen befestigt. Entsprechend arbeitete man hauptsächlich mit den Kapiteln 331 Tragwerke und 333 Bekleidungen. In den letzten 30 Jahren hat sich der Elementbau stark entwickelt, sodass man heute sagen kann: Holzbau ist gleich Elementbau. Praktisch jeder Holzbauer macht heute Elemente im Werk, das heisst er baut Stäbe, Bekleidungsplatten, Dämmschichten und Abdichtungen schon im Werk zu vorgefertigten Elementen zusammen, bringt diese auf die Baustelle und braucht sie dort nur noch zu installieren. So kam das Kapitel 332 Elementbau dazu – und mit der Zeit immer mehr Überschneidungen. Mit dem neuen Kapitel 335 hat man nun alles in einem, was auch die Pflege vereinfacht. 

 

Wie finden sich die Anwender in diesem umfangreichen Kapitel am besten zurecht?
Am besten konsultieren sie als erstes die Matrix, die einen Überblick vermittelt, was in diesem Kapitel wo angesiedelt ist. Wir haben bei der Erstellung des Kapitels zudem versucht, alles, was beispielsweise den Holzrahmenbau betrifft, auf einer Zeile abzubilden. Hilfreich ist zudem das Entscheidungsschema. Ganz unabhängig vom NPK finde ich es wichtig, dass man sich Konzepte zurechtlegt und diese dann einhält. Das gilt für das Tragwerk, aber auch für den Brandschutz und den Schallschutz. Es ist natürlich hilfreich, wenn man selbst Holzbauingenieur ist oder einen Holzbauingenieur zur Seite hat. Der NPK ist eine gute Richtschnur, weil er mir angibt, was ich der Reihe nach machen muss: Man beginnt mit den Tragwerken, dann kommen die Wand- und Deckenelemente und am Schluss die Flachdach- und die Steildachelemente. Am Ende jedes Abschnittes werden die Bekleidungen beschrieben. 

 

Wo sehen Sie die Holzbau-Branche in zehn Jahren?
Die Branche wird sich noch mehr automatisieren. Vor 20 Jahren war es einzigartig, wenn jemand einen Wendetisch hatte, heute hat jeder mittelgrosse Holzbaubetrieb einen solchen. Die moderner eingerichteten Betriebe haben automatische Brücken, die über die Elemente fahren und nageln, schrauben und leimen können. Die Industrie wird grössere und leistungsfähigere Maschinen entwickeln. Zudem denke ich, dass mehr Industrie, insbesondere die Sägeindustrie, aber auch die Brettschichtholz- und Brettsperrholzindustrie in die Schweiz zurückkommen wird. Wunsch und Bedarf sind vorhanden, und auch die Bedeutung des Schweizer Holzes steigt, weil die Kundschaft vermehrt auf lokale Produkte setzt. Aber auch der Druck aus dem Ausland wird steigen, und die Spezialisierung wird zunehmen. Ich gehe davon aus, dass es mehr Gesamtleistungsangebote geben wird und sich immer mehr Holzbauunternehmer als Generalunternehmungen verstehen. Bauherrschaften werden mehr funktionale Ausschreibungen machen, die eher eine grobe Architektur vorgeben und nicht mehr im Detail festlegen, ob die Wände nun in Beton oder Holz gebaut werden sollen, solange eine bestimmte Tragfähigkeit oder Feuerwiderstand eingehalten wird. Dann werden Nachhaltigkeitskriterien wie CO2-Emissionen oder eine Energiebilanzwerte wichtiger.

 

Sehen Sie noch weitere Änderungen?
Normalerweise gilt gemäss SIA-Norm 118 der Vertrag zwischen der Bauherrschaft, die die Planung verantwortet, und der Unternehmung, die nur ausführt. Das wird sich ändern, denn SIA 118 sagt auch, dass General- und Totalunternehmermodelle möglich sind. Ein Teil der Verantwortung des Ingenieurs geht also von der Bauherrschaft zur Unternehmung über. Das ist dann kein reiner Werkvertrag mehr, sondern ein Gesamtleistungsvertrag. Die grossen Generalunternehmer sind sich das schon gewohnt. Beim Holzbau ist man irgendwo mittendrin. 

 

Welche Herausforderungen kommen in den nächsten Jahren auf die Branche zu? Und inwiefern hilft Ihnen der NPK 335 Holzbau dabei?
Die Grösse der Objekte: Oft sind öffentliche Bauten sehr gross. Die Betriebe müssen grösser werden oder sich zu leistungsfähigen Zusammenarbeitsformen finden. Und in den letzten Jahren hat man gesehen, dass man in den Architekturwettbewerben praktisch nur noch Chancen hat, wenn man einen Entwurf in Holzbauweise anbietet. Zu den Herausforderungen gehört da, dass «normale» Architekten mit «normalen» Ingenieuren einen Holzbau vorschlagen, das aber fachlich gar nicht leisten können. Deshalb müssen sie sich oft nach gewonnenem Wettbewerb mit zusätzlichen Holzbau-Fachleuten wie zum Beispiel Holzbau-ingenieuren verstärken. Der NPK ist dafür da, jede Objektgrösse abzubilden. So hat man beim Holzbau Rechtssicherheit. Der NPK ist jetzt wieder aktuell. Er erlaubt auch Beschreibungen nach BIM und eine bauteilorientierte Ausschreibung – aber er ersetzt natürlich kein Fachwissen.