Stefan Zopp hat auf der ganzen Welt gebaut. Im Interview spricht er über die Faszination von Konzertsälen, den Einfluss von Jean Nouvel und darüber, was gute Architektur ausmacht.
Interview: Michael Milz | 29.09.2025
Stefan Zopp, was fasziniert Sie am Beruf des Architekten?
Am Anfang eines Architekturprojekts spricht man von einem Ort, einem Raumprogramm, einem Kontext, der nicht einmal unbedingt baulicher Natur sein muss, einer Szenografie, vielleicht sogar schon von einer spezifischen Nutzung. Jahre später, nach vielen Prozessen, Diskussionen und Entscheiden gehen Sie durch dieses Haus – ein Wohnhaus, ein Museum oder ein Konzerthaus – und können selbst reflektieren, wie adäquat Sie als Architekt das Projekt bei all den «äusseren» Einflüssen realisiert haben. Ich denke, dort beginnt die Genugtuung, die die Faszination ausmacht: das erste Kunstwerk im wohlproportionierten Ausstellungsraum, der erste Ton im grossen Konzertsaal.
Welche Personen haben Sie am meisten geprägt oder waren Vorbilder?
Jean Nouvel – die Zusammenarbeit während fast dreissig Jahren hat vieles in meinem Leben, vor allem in meinem Berufsleben, nachhaltig mitgeprägt. Die Einsicht in sein Universum, aus dem er die Ideen schöpft, die zumeist extrem kontroverse Zusammenhänge resümieren und zu konsistenten Antworten und Schlüssen führen – remarquable!
Sie haben an Projekten auf der ganzen Welt mitgearbeitet. Welches ist für Sie das Wichtigste und hat Sie am meisten gefordert oder fasziniert?
Nun, jedes Projekt – nicht nur in der Architektur – fordert und fasziniert, wenn man das Projekt mit dem Engagement angeht, das eine Bauherrschaft von einem Architekten erwarten darf. Die Architektur gilt traditionell als eine der sieben Künste, oft zusammen mit Malerei, Skulptur, Musik, Tanz, Literatur und darstellender Kunst. Manchmal wird auch Film als siebte Kunst gezählt, insbesondere im französischen Sprachraum. Jedes der über zwanzig Projekte, die ich in Europa und zwischen Shenzhen und Abu Dhabi – nebst meinen eigenen – mit Jean Nouvel realisieren durfte, hatte seine eigene, grossartige und somit einmalige Faszination, Herausforderung und Geschichte. Vielleicht war das Konzerthaus in Kopenhagen mit seinen vier Konzertsälen die komplexeste Herausforderung. Musik in den vier verschiedenen Sälen zu hören, ist auch heute, nach mehr als fünfzehn Jahren, berührend. Das gilt natürlich auch für das KKL.
Was macht gute Architektur aus? Wann hat ein Gebäude einen baukulturellen Wert?
Nicht die Grösse des Gebäudes, sondern die Antwort als solche wird zeigen, welche baukulturelle Bedeutung dem Gebäude zukommt. Ein modernes Design mit nachhaltigen Werten wird ein modisches immer überleben. Kriterien der Nachhaltigkeit sind neu, sie meint jedoch nicht nur den CO2-Abdruck, sondern vor allem die Flexibilität des Raumprogramms. Somit ist die Gebäudestatik zusammen mit der Wahl der Konstruktion Teil des Designs.
Welche konkreten Beispiele fallen Ihnen ein?
Ein exzellentes Beispiel ist das Ensemble «Hôtel & Restaurant Le Saint-James» in Bouliac, hoch oben über Bordeaux, im Süden von Frankreich. Mitten in den Rebbergen baute Jean Nouvel vor über 35 Jahren einen speziellen Ort. Dann die Schutzbauten von Peter Zumthor in Chur, einfach grossartig diese Bauten und eben vor allem auch der geschichtliche und geografische Kontext. Schliesslich möchte ich das Haus am Genfer See von Le Corbusier – die Villa Le Lac – erwähnen, ein Archetypus des Minimalhauses: Auch nach über hundert Jahren hat diese Architektur nichts an Moderne verloren. Kein Haus in der näheren Umgebung – obwohl später gebaut – verfügt über eine ähnliche Moderne.
Welche Bedeutung hat der Kontext in der Architektur und beim Bauen?
Der Kontext in der Architektur kann nicht auf das physische Umfeld beschränkt werden, denn vielfach ist der gebaute Kontext keine Referenz oder nicht einmal Architektur. Wenn man sich beim Bauen am Kontext orientieren will, was sicher richtig ist, dann ist der geschichtliche, der politische, der kulturelle und geografische Kontext ebenso wichtig und hat einen ebenso grossen Einfluss auf das Resultat. Wichtig ist natürlich, dass die Referenz zum Kontext nicht plakativ wirkt oder schlecht interpretiert wird. Eine Meisterleistung haben Herzog & de Meuron immer wieder mit den Bauten für Ricola erbracht. Das Lesbar-Machen eines Inhalts, einer Marke, eines Produkt ist ihnen mehrfach gelungen. Ein weiteres Beispiel ist das Konzerthaus für das dänische Radio in Kopenhagen von Jean Nouvel, der Meteorit mit der blauen Fassade, dem sogenannten «blue screen»: Auch wenn sich diese Bezüge erst in einer zweiten Lesart erschliessen, sind diese insbesondere heute, da das Konzertgebäude von Bürogebäuden komplett «eingemauert» ist, extrem wichtig, um die städtebauliche Setzung und Architektur zu verstehen.
Konzerthäuser spielen für Sie eine wichtige Rolle – Sie haben mehrere geplant und realisiert. Was fasziniert Sie gerade an diesen Bauten?
Ein Konzerthaus zu planen und zu realisieren ist tatsächlich etwas unglaublich Grossartiges. Bei den jüngsten Projekten – beim Opern- und Konzerthaus in Shenzhen etwa, das in Ausführung ist – konnten wir die strikte Trennung von Staff, Künstlern und Besuchern aufheben. Das ergibt eine neue Szenografie, eine ganz neue Art, wie man sich mit der Musik, der Theaterszene oder der Opernwelt trifft und wie man dem Event begegnet: Die Musik beginnt schon auf dem Weg zum Aufführungsort, wie die Architektur auch. Daneben sind die nicht unerheblichen Erkenntnisse bei der Konzertraumgestaltung wie die Anzahl der Personen, die Flexibilität und Konfiguration vom Saal selbst, die Akustik bei den verschiedenen Saalkonfigurationen und verschiedene Partituren im Zusammenhang mit dem Entwurf sehr wichtig. Der Akustiker hat nebst dem Szenografen sicher den grössten Einfluss auf die Gestaltung. Für die Orchestrierung dieser drei Disziplinen und Persönlichkeiten, die immer auch einen kulturellen Hintergrund haben, braucht es Ideenreichtum, ein grosses Verständnis und Repertoire, um für die zum Teil kontroversen Ansprüche die richtige Synthese zu finden.
Bei von der öffentlichen Hand finanzierten Grossprojekten schöpfen grosse Architekten oft aus dem Vollen. Kann man mit Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis auch mit günstigen Materialien gute Architektur schaffen?
Nun, das Thema öffentliche Hand und Finanzierung ist äusserst komplex, jedoch auch in der Privatwirtschaft nicht einfach. Sehr oft, um nicht zu sagen fast immer, fehlt eine realistische ökonomische Einschätzung dessen, was die öffentliche Hand und auch Private wollen. Die öffentliche Hand versucht etwas zu bekommen, wofür das Geld nicht disponiert ist, und geht davon aus, dass am Schluss die Architekten mit den teuren Materialien die Schuld tragen. Ich bin mir dieser Karikatur durchaus bewusst. Auf der Basis des Raumprogramms erarbeiten wir eine Architektur für die Menschen, die Nutzer. Die Materialien sind es meistens nicht, die die Kosten ausmachen. Walter Graf, Bauökonom der ersten Stunde von Luzern, erklärte vor Kurzem bei einem Grossprojekt, dass die Gebäudestatik und Haustechnik 40 bis 60 Prozent der Baukosten generieren. Sicher ist es die grössere Herausforderung für einen Architekten, billige Materialien reichhaltig einzusetzen, jedoch sind auch die Überlegungen zur Werterhaltung und Investition versus Unterhalt mit in die Diskussion aufzunehmen.
Ist in der Entwurfsphase schon alles so weit fixiert, dass keine Bauteile mehr mit Unternehmervarianten optimiert werden können?
Nie! Der Unternehmer hat sehr oft, vor allem in der Fabrikation und Herstellung Ideen, die den Entwurf beeinflussen können. Der Moment, wenn der Unternehmer dazu kommt, ist immer sehr spannend, jedoch auch herausfordernd, denn beide – Architekt und Unternehmer – müssen eine Synthese finden. Auch der Bauherr muss Teil des Prozesses sein, denn oft werden auch Optimierungen vorgeschlagen, die auf die Qualität des Bauwerks – die Nachhaltigkeit und den Wert sowie den Ausdruck und/oder den Betrieb – einen erheblichen Einfluss haben können. Das ist ein entscheidender Punkt im Planungsablauf und zeigt die Belastbarkeit eines Kostenvoranschlags sowie die Professionalität eines Bauherrn. Das ist vielleicht auch der Unterschied zwischen einem Investor und einem Spekulanten: günstig oder billig bauen. Insbesondere in der Entwurfsphase gibt es für die Unternehmervariante eine zusätzliche und nicht unerhebliche Schwelle: Eine Baueingabe benötigt heute abschliessende Konzepte für Brandschutz, Energienachweis, Erdbebensicherheit, also mehr als einen blossen Entwurf.
Welchen Stellenwert hat Baukultur?
Die Baukultur ist von allen Kunstarten die wichtigste Kunst. Darum ist es so wichtig, dass die Architektur nicht modisch, sondern modern und nachhaltig gedacht und erschaffen wird. Die Ökonomie war beim Bauen immer ein wichtiges, aber nicht das einzige Kriterium. Allem geht jedoch das Orts- und Städtebauliche voraus, die raumplanerische Arbeit, um mit Neubauten lebenswerte Orte zu schaffen. Architektur besteht auch aus dem Freiraum, dem Platz: «la masse et le vide», also Masse und Leere. Im Zusammenhang mit Baukultur lohnt es sich, bis zu Vitruv und den drei Prinzipien Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit) zurückzugehen.
Welche Bedeutung haben für Sie CRB-Standards wie der eBKP oder der NPK?
CRB und seine Standards – damals noch sehr bescheidene, wenn ich das mit den heutigen vergleiche – hatten mich bereits in der Berufslehre fasziniert, ganz im Gegensatz zu meinem Arbeitgeber. In der Folge habe ich mich immer mit den Standards auseinandergesetzt und diese vor allem auch angewendet, auch wenn das nicht meine eigentliche Kernaufgabe war. Allerdings – und das wissen alle Architekten, die sich an Wettbewerben beteiligen – sind wir bei jeder Abgabe damit konfrontiert: die Abgabe der Flächen (Normen), die der Kostenplaner für die Weiterbearbeitung der Kostenberechnung braucht. Heute bin ich sowohl Anwender der vielfältigen Produkte von CRB als auch mit der strategischen Ausrichtung, der digitalen Transformation, beschäftigt. So bekomme ich einen ganz neuen Blick auf Strategie und Umsetzung bis zur Markteinführung, der sich parallel zur Bearbeitung permanent verändert und somit antizipiert werden soll.
Sie engagieren sich seit 2014 als Vertreter des Bunds Schweizer Architekten (BSA) im Vorstand, heute auch im Ausschuss von CRB. Was ist Ihnen hier wichtig?
CRB ist ein Kind des BSA, einem der drei Trägerverbände, der eine Standardisierung in der Kostenplanung und Submission etablieren wollte. Heute, über 65 Jahre später, hat CRB an Attraktivität und Aktualität in der sehr komplexen Bauwelt viel gewonnen und stellt uns allen respektable Werkzeuge zur Verfügung. Die strategische Ausrichtung und das Gelingen der digitalen Transformation erfordern nebst der Affinität zur IT-Welt die ganze Konzentration des Managements und des Vorstands.
Was wünschen Sie sich für die Schweizer Baubranche? Welche Veränderungen wären förderlich?
Die Baubranche, insbesondere die schweizerische, hat in allen Phasen und auf allen Ebenen eine sehr hohe Komplexität erreicht, die sich, nebst den Fachplanern und Ingenieuren, auf zunehmend und fast beängstigend mehr Spezialisten und Berater beruft. Generalisten – wie Architekten – müssen mit gesundem Menschenverstand wieder die Leitungen und Koordination übernehmen, auch wenn das eine grosse Herausforderung ist, um der kulturellen Aufgabe, dem Bauen, gerecht zu werden.