Alte und neue Erkenntnisse zusammenführen

Für Urs Wiederkehr, der beim SIA den Fachbereich Digitale Prozesse leitet, ist die digitale Transformation keine technische, sondern eine soziologische Herausforderung. Was er damit meint und worin er die Chance der Digitalisierung sieht, erläutert er im Gespräch. 

Gaby Jefferies
04.04.2022

Solo in lingua tedesca o francese

 

Sie leiten den Fachbereich Digitale Prozesse beim SIA. Was ist die Aufgabe dieses Bereichs?
Unser erstes Ziel ist es, die strategische Ausrichtung des SIA in Bezug auf die Digitalisierung aktuell zu halten. Die SIA-Instrumente sind so weiterzuentwickeln, dass sie der digitalen Transformation gerecht werden. Eine weitere Aufgabe ist die Verankerung digitaler Handlungskompetenzen in den einzelnen Fachbereichen auf der SIA-Geschäftsstelle.

Mit welchen Projekten beschäftigen Sie sich momentan?
Wir arbeiten aktuell an verschiedenen Ersatzmassnahmen für die zurückgezogenen Kalkulationshilfen im Zusammenhang mit den SIA-Honorarordnungen. Zum einen entwickeln wir mit der Professur für Architektur und Bauprozess der ETH das Tool «Value app» zur Bestimmung des Werts einer planerischen Aufgabe und liefern damit Entscheidungshilfen für die Bestimmung des geschuldeten Honorars. Zum anderen werden wir die ebenfalls unterbrochene Lohn- und Kennzahlenerhebung wieder aufnehmen. Seit Kurzem sind wir Kooperationspartner bei werk-material.online. Weiter beteiligen wir uns am Aktionsplan «Digitale Schweiz» sowie an einem internen Projekt, bei dem es darum geht, die SIA-Produkte in Zukunft durchgehend digital bereitzustellen und zugleich Potenzial für Verknüpfungsmöglichkeiten mit Dritten zu schaffen. 

 

Sie haben erwähnt, dass der SIA neben werk, bauen + wohnen und CRB die Kennwerte-Plattform werk-material.online unterstützt. Was bedeutet das für Ihre Mitglieder?
Mit dieser Partnerschaft können wir zeigen, dass Zusammenarbeit im Zeitalter der Digitalisierung wichtig ist. Wir machen auf die Produkte der Partner aufmerksam und erleichtern unseren Mitgliedern den Zugang. Mit werk-material.online erhalten die SIA-Mitglieder Daten, die ihnen dabei helfen können, frühe Projektentscheide auf eine fundiertere Basis zu stellen. Daten sind Geschichte, sie enthalten Erfahrungen, die man auf neue Projekte übertragen und interpretieren kann. Ich begrüsse diese Zusammenarbeit sehr und sehe viele Synergien, die wir gemeinsam nutzen können. 

 

Was würden Sie als grösste Herausforderung im Zusammenhang mit der digitalen Transformation bezeichnen?
Ein zentraler Punkt ist für mich das Erkennen, dass die digitale Transformation keine technische, sondern eine soziologische Herausforderung ist. Der Mensch muss mitgenommen werden! Weiter spielt die Fähigkeit zur Kommunikation eine wichtige Rolle. Die gleichen Aspekte, die bei der Kommunikation von Mensch zu Mensch entscheidend sind, gelten auch bei der Kommunikation mit der Maschine: Versteht der Empfänger, was gesagt wird? Bringt er die dafür notwendige Aufmerksamkeit mit? Nimmt der Empfänger die Information des Senders an? Eine weitere Herausforderung sehe ich in der Sharing-Wirtschaft: Bei der Digitalisierung geht es um Daten und diese sind teilbar – aber wir müssen das Teilen erst wieder lernen. Auch die Flexibilität ist ein entscheidender Faktor. Heute haben viele das Gefühl, die Digitalisierung habe sie überfahren. Diejenigen, die am lautesten waren, konnten ihre Ideen durchsetzen. Nun haben wir auch einiges, das nicht wirtschaftlich ist und das muss korrigiert werden. Die Digitalisierung liefert eine Erprobungsplattform für die Welt, man simuliert verschiedene Varianten. Die beste wird weiterverfolgt und am Schluss in die reale Welt rückübersetzt. 

 

Ziel der 2021 verabschiedeten CRB-Strategie ist es, die Grundlage für ein standardisiertes system- und organisationsübergreifendes Daten- und Informationsmanagement zu schaffen. Was halten Sie davon? 
Ich begrüsse alle Massnahmen, die ordnend wirken. Das Eingreifen mit mathematischen Methoden –auf denen der Einsatz von Computern basiert – setzt eine bestimmte Ordnung voraus. Das Schaffen von Ordnung war bereits Thema bei der Gründung von CRB vor über 60 Jahren. Zuerst konnte man nur Zahlen ordnen, dann die Informationen dazu, schliesslich kam die annähernd grenzenlose Digitalisierung. Jetzt geht es darum, alles zusammen zu betrachten. Dass man organisations- und projektübergreifend für Ordnung sorgen will, halte ich für richtig. 

 

Zentraler Bestandteil wird das standardisierte Datenmodell Bau sein. Wie beurteilen Sie diesen Ansatz?
Die Frage, wie man Daten verknüpfen kann, war schon 1996/98 Thema des CRB-Projekts «Kompass, die integrale Plattform für die Bauwirtschaft», bei dem ich mitwirken konnte. Auch in der Soziologie ist dies ein Thema. Die Digitalisierung kann als Verdoppelung der Welt in Datenform verstanden werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es unmöglich ist, alles abzubilden. Es ist notwendig, die Dinge, die aufgrund der aktuellen Fragestellung wichtig sind, zu berücksichtigen, z.B. die Elemente, die die höchsten Kosten verursachen. Dabei hilft ein gewisser Pragmatismus, und eine von Anfang an mitgedachte Offenheit führt dazu, dass das Modell später erweitert werden kann. Ich sehe die Chance der Digitalisierung darin, dass wir jetzt ein Gerüst erhalten, in dem wir alle Erkenntnisse – alte und neue – zusammenführen können. Die Weiterentwicklung in kleinen Schritten und das Aufbauen auf dem «alten, bekannten Wissen» halte ich für zentral. 

 

Gibt es in diesem Kontext Zusammenarbeitspotenzial mit CRB?
Ich sehe den Normpositionen-Katalog und die SIA-Normen als «Katjekte» – ein Begriff, den Dirk Baecker für sein gleichnamiges Buch kreiert hat. Gemeint ist damit die untrennbare Verwobenheit der Welt, nicht nur der digitalen «Dinge», quasi die programmierte Form der nicht beantwortbaren Fragestellung «Was war zuerst da, Huhn oder Ei?». Wenn sich unsere Normen weiterentwickeln, muss sich auch der NPK mitentwickeln und umgekehrt. Ich stelle mir die Zusammenarbeit von SIA und CRB in dieser Form vor, ebenso die Kooperation mit vielen anderen Organisationen in der Bauwirtschaft. 

 

Wie kann sich der SIA bei der Umsetzung der CRB-Strategie einbringen?
Unsere Fachbereiche sind z.B. über das Normenwesen in ständigem Austausch mit CRB, und wir arbeiten in verschiedenen Kommissionen eng zusammen. Dass unser Geschäftsführer Christoph Starck im Ausschuss und im Vorstand von CRB sitzt, macht die Zusammenarbeit sehr einfach und die dafür erforderlichen Fachleute können im Nu zusammengeführt werden. Auch bei der Weiterbildung arbeiten wir an gleichen Zielen. 

 

Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um technologische Entwicklungen, sondern auch um einen Kulturwandel. Wie geht der SIA damit um?

«Jede Kultur pflegt andere Sitten, wenn es darum geht, Sachfragen zu behandeln», meint der Soziologe Dirk Baecker. Diesem Prinzip lebt der SIA nach, indem er über die vier Berufsgruppen Architektur, Ingenieurbau, Technik und Umwelt jeder Berufsfrau und jedem Berufsmann die passende Diskussionsplattform zur Verfügung stellt. Die einzelnen Sektionen, unsere regional tätigen Teilorganisationen, verankern die SIA-Anliegen in den einzelnen Landesteilen. An den Konferenzen der Sektionen und Berufsgruppen werden die einzelnen Fragen diskutiert und eine für alle passende Umsetzung gesucht. Dieses bewährte Prinzip wendet der SIA auch bei der Digitalisierung an. Selbstverständlich gehört man damit nicht zu den Schnellsten, dafür sind die auf diesem Weg gefundenen Lösungen sachlich fundiert und führen zu später anerkannten Lösungen.